Samstag, 6. Februar 2016
ANMERKUNG DES AUTORS (DAVID QUAMMEN)
Dieses Buch bietet eine Diagnose und liefert kein Rezept. Manche Leser werden, wie ich hoffe, mehr wollen. Ich sehe voraus, daß sie sich die Frage stellen, was sich tun läßt.
Die Frage ist einfach, nur gibt es leider auf sie keine einfache Antwort. Wenn es für diese komplizierte Reihe von Problemen - Fragmentierung der Landschaft, Verurteilung der Arten zum Inseldasein, kleine Populationen und die Gefährdungen, denen sie ausgesetzt sind, Aussterben, Ökosystemzerfall - eine Lösung gibt, dann jedenfalls keine Patentlösung. Gewisse Maßnahmen können zur Entschärfung der Probleme beitragen und mit einiger Aussicht auf Erfolg dabei helfen, die Zukunft abzuwenden, auf die wir derzeit zusteuern, nämlich eine Zukunft grauenerregender biologischer Vereinsamung. Aber dem Spektrum dieser Maßnahmen, ihrer wissenschaftlichen und politischen Komlexität, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen würde ein ganzes weiteres Buch erfordern. An dieser Stelle muß ich mich damit bescheiden, auf eine Reihe nützlicher Veröffentlichungen hinzuweisen, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage "Was kann man tun?" beschäftigen.
Zusammen mit Dave Foreman (einem freundlichen, klarsichtigen Menschen, der übrigens zu den Gründern von Earth First gehört) hat sich Michael Soulè neuerdings in dem sogenannten Wildplans Project engagiert. Diese wagemutige Initiative dient dem Versuch, die traditionelle Herangehensweise - nämlich Natur- und Artenschutz in Nordamerika durch Erhalt von einzelnen Fragmenten zu betreiben - zu überdenken und durch eine Strategie zu ersetzen, bei der das Schwergewicht auf der Verknüpfung liegt. Statt der Inselartigen Naturparks, Schutzgebiete, Privatreservate und naturbelassene Flächen stellt sich das Wildlands Project regionale Systeme, naturbelassener Landschaft vor, bei denen Kerngebiete durch Pufferzonen mit Mehrfachnutzung und durch Landschaftliche Korridore miteinander verbunden sind. Umfassendere Landschaftsfragmente wie das Gesamtgebiet des Yellowstone-Ökosystems ( es hat sein Zentrum in der Nordwestecke von Wyoming und reicht nach Montana und Idaho hinein) und das nördlich gelegene Continental-Divide-Ökosystem (fast dreihunder Kilometer von Yellowstone entfernt, liegt es in der Nordwestecke Montanas und umfaßt den Glacier-Nationalpark und die Bob Marshall Wilderness) würden miteinander und mit vergleichbaren Fragmenten in Idaho zu einem Gesamtnetz verbunden. Ebenso würden die verbliebenen naturbelassenen Landschaftsfragmente in den südlichen Appalachen zu einem Netz verknüpft. Ein weiteres Netz würde das Gebiet der Adriondack Mountains umfassen. Falls die landschaftlichen Koridorre ihren Zweck erfüllten und den Tieren erlaubten, sich von einem Kerngebiet ins andere auszubreiten, könnten uns diese Netzwerke dem Ziel, die Lebensfähigkeit von Populationen zu befördern, ein gutes Stück näherbringen. Wissenschaftlich gesehen, haben diese Entwürfe ein solides Fundament in den Arbeiten von McArthur und Wilson, Jared Diamond, Mike Gilpin, Wiliam Newmark, Mark Schaffer, Soulè selbst und andere. Die politischen Widerstände gegen ihre Realisierung sind gigantisch, aber vielleicht nicht unüberwindlich. Das Projekt in seinem derzeitigen Konkretisierungsstadium findet man vorgestellt in einer dicken Broschüre, die als Sondernummer der Zeitschrift "Wild Earth" erschienen ist; sie enthält Beiträge sowohl von Soulè als auch von Foreman. Die Broschüre und andere Informationen sind erhältlich bei Wildlands Project, P.O. Box 13768, Albuquerque, New Mexico 87192.
Ein anderer Ansatz, der sich vom Wildands Project stark unterscheidet, ohne im Widerspruch zu ihm zu stehen, tritt seit neuestem unter dem Ausdruck "Artenschutz auf Gemeindebasis" in Erscheinung. Erstens geht dieser Ansatz von der Ansicht aus, daß für die Erhaltung von Arten und Ökosystemen nicht nur im Rahmen von Naturparks, Schutzgebieten und anderen gesetzlich geschützten Regionen gesorgt werden darf, sondern daß sie auch in den von Menschen besiedelten ländlichen Gebieten betrieben werden muß, die sich außerhalb der gesetzlich festgelegten Schutzzonen befinden. Einer Erhebung zufolge gibt es weltweit mittlerweile ungefähr achttausend geschützte Gebiete, die rund auf Prozent der Landfläche des Planeten ausmachen. Sich nur auf diese vier Prozent zu konzentrieren bedeutet, die übrigen sechsundneunzig Prozent Fläche preiszugeben von der ein großer Teil auch heute noch eine ansehnliche biologische Vielfalt beherberg. Zweitens basiert dieser Ansatz auf der Überzeugung, daß die Bedürfnisse der Menschen in Rechnung gestellt werden müssen. Hunger, gesundheitliche Mängel, kulturelle Tradiitonen, Geburtenrate, Angst, Streben nach einem höheren Sicherheits- oder Komfortniveau und all die anderen Faktoren, die Menschen veranlassen, ihrer natürlichen Umgebung ernsthaften Schaden zuzufügen - all das sind Realitäten, mit denen sich die Naturschützer nicht weniger als die Entwicklungshelfer auseinander setzen müssen. Wenn Naturschutzbemühungen in von Menschen besiedelten Gebieten Erfolg haben sollen, dann müssen die Ortsansässigen sich dieser Bemühungen zu eigen machen und die Sache selber in die Hand nehmen, wie sie auch unmittelbar von den greifbaren Erfolgen profitieren müssen. Das ist im Kern das Konzept des Artenschutzes auf Gemeindebasis. Zu den prononciertesten und erfahrensten seiner Verfechter zählt Dr. David Western, ein kenianischer Ökologe, der seit Jahrzehnten eng mit der Massaibevölkerung in der Nachbarschaft des Amboseli-Nationalpaks zusammenarbeitet. Eine gründliche Einleitung in das Thema bietet "Natural Connections: Perspectives in Community-Based Conservation", das Beiträge enthält, die ursprünglich für einen kleinen internationalen Workshop über Artenschutz auf Gemeindebasis bestimmt waren, der in der Woche nach dem 18 Oktober 1993 in Airlie House im ländlichen Virginia stattfand. "Natural Connections" wurde von David Western und R. Michael Wright, unter Mitwirkung von Shirley C. Strum, herausgegeben und erschien bei Island Press. Darüber hinaus findet man einen präzisen Überblick über die Thematik in einer Broschüre mit dem Titel "The View from Airlie", herausgegeben von und erhältlich bei der Liz Claiborne und Art Otenberg Foundation (650 Fifth Avenue, New York, NY 10019), die das Treffen in Airlie organisiert und finanziell unterstützte.
Das sind Bücher, die ein Rezept anbieten, nicht nur eine Diagnose stellen. Sie können einen zu weiteren Büchern führen. "Conversation of the twenty-first Century", ebenfalls herausgegeben von David Western, diesmal im Zusammenhang mit Mary Pearl, und "Essentials of Conservation Biology" von Richard B. Primark sind maßgebende Bücher, die darstellen, was sich positiv tun läßt. Michael Soulés Gelbbuch, "Conservation Biology: The Science of Scarcity and Diversity", enthält ein Kapitel über ökologische Wiederherstellungsmaßnahmen und über die Anlage von Reservaten. Und die Zeitschrift "Conversation Biology" geht diesen Fragen ständig nach. Wer sich sachkundig gemacht hat, dem wird es nicht schwerfallen, Richtungen zu finden, in denen er sich konstruktiv betätigen kann.
Wer wirklich etwas tun will, für den dürfte ein erster heilsamer Schritt darin bestehen, sich mit dem schockierenden Bewußtsein der Opfer vertraut zu machen, die zu bringen sind. Wie viele Kinder man bekommt, wie viele Kilometer man fährt, das sehnsüchtige Verlangen nach einem Haus im Grünen (Datschen für Möchtegern-Thoreaus sind in den reichen Ländern der gemäßigten Zonen eine ernstzunehmende Ursache für Verluste an Lebensraum und Fragmentierung) - das alles hat seine Auswirkungen auf die bedrohten Populationen anderer Spezies und auf die Bindekraft von Ökosystemen.
An der ganzen Situation zu verzweifeln ist ebenfalls eine vertretbare Alternative. Nur ist aus meiner Sicht das Unbefriedigende an der Verzweiflung, daß sie nicht allein fruchtlos, sondern darüber hinaus weit weniger spannend als die Hoffnung ist, mag diese auch noch so schwach sein.



"DER GESANG DES DODO"

EINE REISE DURCH DIE EVOLUTION DER INSELWELTEN

DAVID QUAMMEN

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